Der zweite demographische Übergang

Projektbeschreibung zum Forschungsprojekt

Der zweite demographische Übergang: seine sozioökonomischen, kulturellen und regionalen Ursachen. Ein Mehrebenen-Modell zur Erklärung des Geburtenrückgangs in Deutschland seit 1972

Ziel des Projektes ist es, Erklärungen für die Veränderung der weiblichen Fruchtbarkeit aufzuzeigen. Dafür soll die Theorie des zweiten demographischen Übergangs, welche die Veränderungen seit den späten 60er Jahren vor allem mit einem Wertewandel erklärt (Lesthaeghe 1992), um eine sozioökonomische Perspektive erweitert werden. Der Antragsteller bezieht sich insbesondere auf amerikanische Soziologen, die mit Hilfe von Censusdaten den sozioökonomischen Wandel seit 1870 beschreiben und den demographischen Veränderungen gegenüberstellen (Hernandez 1993, 1995). Wesentliche sozioökonomische Ursachen werden vor allem in gewandelten Zeitansprüchen gesehen, die mit einem Wandel der Berufswelt sowie einer zunehmenden weiblichen Erwerbstätigkeit einhergehen und zu gewandelten Lebensformen in Form von mehr Doppelverdiener- und Alleinerzieherhaushalten und insgesamt eingeschränkten Kinderzahlen führen. Aufgrund neu verfügbarer Mikrozensusdaten kann rückblickend bis 1973 erstmalig der zweite demographische Übergang für Deutschland überprüft und seine Ursachen diskutiert werden. Durch das Zusammenspiel mit Daten des Familiensurveys, die Einstellungen und Werte abdecken, können der sozioökonomische Wandel und der Wandel der Werte miteinander verbunden und hinsichtlich ihrer Erklärungskraft für die demographischen Veränderungen überprüft werden.

Innerhalb der jüngeren deutschen demographischen Literatur steht die Verbreitung der Kinderlosigkeit im Fokus des wissenschaftlichen Interesses (Birg 2003, Kaufmann 2004). Der Population Division der Vereinten Nationen folgend, kann jedoch gezeigt werden, dass nicht die Kinderlosigkeit das eigentliche demografische Problem ist, sondern das Fehlen der Mehrkindfamilien (Bertram 2005). Inwieweit die geringe Verbreitung der Mehrkindfamilie in Deutschland auf veränderte Lebensmuster im regionalen Kontext zurückzuführen ist, kann mit den Mikrozensen von 1973 bis 2004 geprüft werden.

Im Rahmen des Forschungsprojektes wird die These aufgestellt, dass sozioökonomische Veränderungen die Ausbreitung ehemals städtischer Lebensformen in ländliche Regionen in Form eines "Cultural lags" verursachen. Sozioökonomische Veränderungen im Sinne höherer Bildungsanforderungen und einer deutlich gewandelten Arbeitswelt haben Konsequenzen für die Familien, die sich deutlich in vor allem regional gewandelten Familienmustern widerspiegeln.

Aufgrund des Fortschritts bei der Aufarbeitung der alten Mikrozensen existiert nun eine Datenbasis, die es ermöglicht, den zeitlichen, räumlichen und strukturellen sozioökonomischen Wandel zu berücksichtigen und der Entwicklung familiärer Lebensformen, speziell der Mehrkindfamilie, gegenüber zu stellen. Durch die Einbeziehung des Familiensurveys (DJI) wird es erstmalig möglich, den Wertewandel mit dem sozioökonomischen Wandel zu verbinden und beider Einfluss auf die demographischen Veränderungen zu überprüfen. Mit dieser breiten empirischen Basis und durch die Verknüpfung von Individual- (Familiensurvey und MZ) und Aggregatdaten (amtliche Statistik) wird es möglich aufzuzeigen, wie ein zunehmender sozioökonomischer Wandel dazu führt, dass städtische Lebensformen in ländliche Regionen diffundieren und die ländlichen Familienmuster der Industriegesellschaft verdrängen. Eine solche Untersuchung ist in Deutschland bisher noch nicht geleistet worden.